Analeptika

PSYCHISCHE ABHÄNGIGKEIT

Auch mit dem Wissen um Häufigkeit und Symptomatik der körperlichen Abhängigkeit von Drogen und der Fähigkeit, sie gegenseitig zu substituieren, lässt sich nicht feststellen, welche Wirkung der Droge den Menschen dazu motiviert, sie zwanghaft und kontinuierlich zu nehmen. Im Tierversuch kann die psychische Abhängigkeit nur in Analogversuchen nachgeahmt werden. Ausgehend von der Hypothese, dass der Wunsch, eine Droge nicht-medikamentös einzunehmen, durch pharmakodynamisch induzierte psychische Faktoren ausgelöst und aufrechterhalten wird, die sich auch im Tierversuch reproduzieren lassen, wurde geprüft, ob und unter welchen Bedingungen Tiere sich selbst Drogen verabreichen, diese Selbstapplikation fortsetzen und sogar steigern.

Praktisch alle Substanzen, die bei Tieren zu einer fortdauernden oder gesteigerten Selbstinjektion führen, sind in der Lage, beim Menschen eine psychische Abhängigkeit hervorzurufen. Durch die Anwendung eines solchen Tests lässt sich also prinzipiell das Vorhandensein einer Missbrauchsgefahr vorhersagen. Allerdings liefern diese Verfahren nur eine sehr begrenzte Bandbreite an quantitativen Daten zum Potenzial der psychischen Abhängigkeit, auch wenn das Missbrauchspotenzial von Sedativa und leichten Tranquilizern deutlich geringer ist als das von Opioiden und Stimulanzien.

Weitere Überlegungen gehen von der These aus, dass alle missbrauchten Substanzen, auch solche, die nur zu psychischer Abhängigkeit führen, klar definierte abhängigkeitserzeugende pharmakodynamische Wirkungen haben. Wir denken, dass „liking“, „craving“ oder „seeking“ der psychische Ausdruck einer pharmakologisch induzierten Störung von Hirnfunktionen ist, die noch nicht sicher lokalisiert werden kann.

Obgleich sich die Qualität der subjektiven Empfindungen, die durch sedierende oder in bestimmten Dosen depressiv wirkende Medikamente (Pentobarbital, Chlorpromazin und Alkohol -PCAG) hervorgerufen werden, von derjenigen von Morphin und Amphetamin (MBG) unterscheidet (Haertzen, 1966), ist zu prüfen, ob sie nicht doch einige gemeinsame pharmakologische Wirkungen haben, die ihre Fähigkeit, Abhängigkeit zu verursachen, erklären könnten.

Positiv gefärbte Gefühle nach der Einnahme einer Droge sind offensichtlich keine Voraussetzung für deren weiteren Konsum. Vielmehr kann sich eine psychische Abhängigkeit von Substanzen entwickeln, die Reaktionen hervorrufen, die von nicht süchtigen Konsumenten zunächst als unangenehm empfunden werden. In diesem Zusammenhang sind die Untersuchungen von Martin (1977) sehr interessant. Er fand heraus, dass Menschen ohne Drogenerfahrung die Wirkungen von Amphetamin und Pentobarbital generell als angenehm empfinden, nicht aber die von Morphin und Heroin, während ehemalige Konsumenten nicht nur Amphetamin und Pentobarbital als angenehm empfinden, sondern auch Morphin und Heroin. Ähnliche Befunde wurden von Lasagna und Mitarbeitern bereits 1955 veröffentlicht.

Außerdem setzen Affen in Selbstanwendungstests unter bestimmten Bedingungen aversive Reize wie Elektroschocks fort oder steigern sie sogar (Kelleher und Morse, 1968). Auch das Postulat, dass allein die Angst vor Abstinenzsyndromen die Konsumenten zur Fortsetzung des Drogenkonsums zwingt, erscheint zweifelhaft, zumal zumindest das „Suchen“ viele Stunden vor dem Auftreten von Abstinenzsymptomen auftritt.

Im Tierversuch lässt sich leicht nachweisen, dass sich das Wirkungsmuster von abhängigkeitserzeugenden Drogen nach chronischer Behandlung verändert. Sowohl bei Mäusen als auch bei Ratten entwickelte sich die Toleranz gegenüber den verschiedenen depressiven Wirkungen von Morphin weder mit der gleichen Geschwindigkeit noch in gleichem Maße. Darüber hinaus wurde eine viel geringere Verschiebung der Dosis-Wirkungs-Kurve nach rechts bei verschiedenen Stimulationssymptomen beobachtet, wie sie im Freilandverfahren ermittelt wurden (Fernandes u.a., 1977a; 1977 b). Ähnliche Beobachtungen wurden von uns bei einer anderen Versuchsanordnung gemacht. Bei chronischer Verabreichung von Morphin an Ratten geht die Entwicklung einer Toleranz gegenüber Katalepsie mit einer Zunahme von Stereotypien und bei Tieren mit Hirnläsionen mit dem Auftreten intensiver Rotation einher. Auch die Toleranz gegenüber zwei Wirkungen von Diazepam und Phenobarbital (Antikonvulsivum und Inkoordination im Rotarod-Test) entwickelt sich in unterschiedlichem Ausmaß (Fuxe u.a. 1975).

Bereits 1950 berichteten Isbell und Mitarbeiter, dass Probanden, die chronisch steigende Dosen von Barbituraten erhielten, nach einer anfänglichen Phase des Hochgefühls zerzaust, verwirrt, reizbar, streitsüchtig und kriegerisch wurden. All diese Befunde weisen darauf hin, dass Sedativa nach chronischem Gebrauch in vielen Fällen nicht mehr sedierend, sondern stimulierend wirken.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass bei chronischem Gebrauch von Suchtmitteln ein Mechanismus in Gang gesetzt werden muss, der nicht nur die vegetativen Reaktionen oder die motorische Aktivität, sondern auch die Gefühle verändert. Diese Veränderungen können für die Aufrechterhaltung des Konsums verantwortlich sein, wobei es im Einzelfall nicht entscheidend ist, ob die Wirkungen als positiv erlebt werden oder nicht (Übersichtsarbeit Mello, 1976).

Bislang ist keine Übersichtsarbeit veröffentlicht worden, in der die Variationen im Muster der besonderen Eigenschaften von Drogen nach chronischer Behandlung mit dem Abhängigkeitspotential der jeweiligen Substanzen verglichen werden.

Dews hat 1977 eine alte Frage wieder aufgeworfen, die jedoch nie systematisch untersucht worden ist: Warum werden Neuroleptika, Antidepressiva oder auch Analeptika nicht missbraucht, obwohl sie teilweise Wirkungen haben, die auch von Hypnotika, Tranquilizern, Opioiden, Alkohol und stimulierenden Drogen hervorgerufen werden? Ein Vergleich der gemeinsamen und unterschiedlichen Wirkungseigenschaften dieser beiden Gruppen führt zu folgendem Ergebnis: Soweit bisher untersucht, haben missbräuchlich verwendete Sedativa (Barbiturate, Methaqualon, Meprobamat, Benzodiazepine) vier Eigenschaften:

a)

Akut verabreicht, bewirken sie eine dosisabhängige Anxiolyse, erhöhte Schlafbereitschaft und Muskelentspannung (Stille und White, 1971).

b)

Chronisch verabreicht ändern sie die Wirkungsweise, nämlich die depressiven Komponenten nehmen ab.

c)

Das EEG zeigt eine Verschiebung zu höheren Frequenzen, insbesondere im β-Rhythmus; beim Menschen sind die Frequenzen von 15-20 Hz betroffen (Fink, 1964; Itil, 1971; Saletu, 1976), bei Tieren die höheren Frequenzen (Giurgea und Moeyersoons, 1964; Joy und andere, 1971; Schallek und andere, 1965; Schallek und andere, 1968). Diese beschleunigte Aktivität beginnt im Bereich des Vorderhirns und dehnt sich dann auf die partietale und okzipitale Region aus. Dieser Effekt wird von Neurophysiologen als erhöhte Vigilanz interpretiert und könnte die beschriebenen stimulierenden Effekte von Barbituraten, Methaqualon und Benzodiazepinen erklären.

d)

Sie hemmen die elektrische Erregbarkeit des limbischen Systems, insbesondere im Nucleus amygdala und im Hippocampus (Hemmung der elektrischen Nachentladung und der Erregung nach elektrischer Stimulation) (Arrigo u.a., 1965; Olds und Olds, 1969; Schallek und Kuehn, 1965; Schallek u.a., 1964; Tsuchiya und Kitagawa, 1976).

In gewissem Sinne sprechen Barbiturate, Methaqualon, Meprobamat und Benzodiazepine also eine Dissoziation verschiedener Gehirnfunktionen aus. Vor allem Methaqualon-Konsumenten bezeichnen die Kombination aus Entspannung und ekstatischen Gefühlen als verführerisch angenehm. Um in den vollen Genuss dieser Wirkung zu kommen, versuchen sie mit aller Kraft, den Schlaf zu bekämpfen (Stille, 1976). Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass eine ähnliche Erhöhung der β-Frequenzen auch bei zentral anticholinergen Substanzen (Fink, 1964; Klett und Johnson, 1957; Saletu, 1976) und Antihistaminika (Goldstein u.a., 1968; Saletu, 1976) zu finden ist. Nach der Einnahme von Anticholinergika führt die erhöhte Wachsamkeit in extremen Fällen zu Unruhe, die mit Bewusstseinsveränderungen und Délirant-Zuständen einhergeht (Vojtechovsky u. a., 1966). Bemerkenswerterweise wird Mandrax, eine Kombination aus Methaqualon und Diphenhydramin, häufiger missbraucht als Methaqualon allein. Eine interessante Frage ist daher, inwieweit Zentralanticholinergika die stimulierende Wirkung von Methaqualon und anderen Sedativa auf die β-Frequenz im EEG verstärken. Antipsychotika, insbesondere Neuroleptika, besitzen ebenfalls, insbesondere bei nicht psychotischen Patienten, depressive und anticholinerge Eigenschaften. Es fehlt jedoch die Hemmung der elektrischen Erregbarkeit des limbischen Systems und die Erhöhung der β-Frequenzen im EEG (Saletu, 1976; Schallek und Kuehn, 1965). Vielmehr wird eine Abnahme der Vigilanz beobachtet. Stattdessen überwiegt eine erhöhte Erregbarkeit des striatalen Systems, begleitet von Akinesie, Katalepsie und Rigor (Stille, 1971). Eine allgemeine Depression mit einer solchen Art der motorischen Ruhigstellung führt offensichtlich nicht zu einer positiv empfundenen Entspannung und wird sogar als dysphorisch erlebt.

Da die erhöhte Erregbarkeit des striatalen Systems nach Neuroleptika auf einer Blockade der dopaminergen Hemmungsafferenzen beruht, ist zu überlegen, ob dieser Effekt mit dem fehlenden Missbrauch dieser Substanzen zusammenhängt. Erwähnenswert ist auch der Effekt, dass dopaminerge Substanzen wie Amphetamin oder Kokain ein hohes psychisches Abhängigkeitspotential haben. Auch Morphin hat, wenn auch versteckt, dopaminerge Wirkungen, insbesondere bei wiederholter Anwendung (Kuschinsky, 1977), ein Befund, der sich aus Stereotypien und Kreisen von einseitig läsionierten Ratten ableiten lässt (Stille, 1978, unveröffentlicht). Carlsson und Mitarbeiter (1972) sowie Bustos und Roth (1976) beschrieben einen verstärkten Impulsfluss im nigrostriatalen System mit erhöhtem Dopaminumsatz bei Ethanol. Nur Benzodiazepine sind mit diesem System nicht kompatibel. Sie vermindern im akuten Versuch den Dopaminumsatz im Corpus striatum (Taylor und Laverty, 1969). Wahrscheinlich kehrt sich bei chronischer Behandlung die Wirkung auf das dopaminerge nigrostriatale System um.

In diesem Zusammenhang ist es interessant, dass der stark dopaminerge Rezeptorblocker Pimozid eine dosisabhängige (0,0625 bis 0,5 mg/kg) Erhöhung der Häufigkeit der Selbstverabreichungsrate von Kokain bewirkt; bei höheren Dosen trat die Selbstverabreichung nicht auf. Diese Wirkungen von Pimozid scheinen parallel zu denen der Belohnungsreduktion und der Belohnungsbestimmung im Allgemeinen zu verlaufen und deuten somit auf eine wichtige Rolle dopaminerger Hirnmechanismen bei der Vermittlung der Kokainverstärkung hin (DeWit und Wise, 1977).

Allerdings lässt sich aus Eingriffen in die dopaminergen Systeme allein kein überzeugendes Konzept des gesamten Mechanismus der psychischen Abhängigkeitsentwicklung ableiten. Die Entdeckung eines dopaminergen Belohnungssystems im medialen Vorderhirnbündel brachte jedoch ein weiteres Argument für eine Dopaminhypothese der Abhängigkeit (Stille, 1977; Ungerstedt, 1971).

Obwohl wenig beachtet, scheint die klinische Beobachtung wichtig, dass das Potential der psychischen Abhängigkeit von Suchtmitteln bei Patienten mit endogenen psychischen Erkrankungen deutlich geringer ist als bei Gesunden oder z.B. bei Krebspatienten.

In der präneuroleptischen Zeit, in der die Behandlung psychotischer Patienten mit relativ hohen Dosen eines Extraktes aus Opiumalkaloiden oder Morphin erfolgte, wurde nur ein einziger Fall von Abhängigkeit bekannt (Burchard. 1967; Schmitz, 1926).

Gelma (1952) glaubte, den Autismus langjähriger schwerer Schizophrener unterbrechen zu können, indem er bei ihnen eine Morphinsucht auslöste. Er ging davon aus, dass sie, wie „normale“ Süchtige, durch ihre Abhängigkeit gezwungen sind, Morphium zu geben, komme was wolle. Enttäuscht musste Gelma jedoch feststellen, dass sich diese Vermutung nicht erhärten ließ. Außerdem stellte er fest, dass seine Patienten im Allgemeinen nur geringe Abstinenzsymptome nach dem Entzug der relativ hohen Morphindosen zeigten.

In diesem Jahr wurden diese Beobachtungen von Schrappe bestätigt. Einige seiner Patienten erreichten Dosen von 300 mg Morphin täglich, eine Dosis, die bei Nicht-Schizophrenen nach einem sofortigen Entzug schwere Abstinenzsymptome hervorrufen würde. Es bleibt zu bedenken, dass ein Merkmal schizophrener Endzustände eine vegetative Starre und Erstarrung ist, so dass Gegenregulationen, wie sie in der Theorie von Himmelsbach (1942; 1943) beschrieben werden, kaum möglich sind. Schrappe (1978) hat jedoch auch zyklische Depressionen (früher die Hauptindikation für Opioide) mit Methadon behandelt. Bei diesen Patienten werden die vegetativen Reaktionen in der Regel nicht verändert, und es treten die erwarteten Abstinenzsymptome auf. Andererseits zeigten sie nie süchtiges Verhalten wie Suchen und Verlangen, d.h. es kommt zu einer Dissoziation von psychischer und physischer Abhängigkeit. Es scheint also, dass psychische Erkrankungen, insbesondere Parkinsonismus, mit einer Resistenz gegen die Entwicklung einer psychischen Abhängigkeit von Suchtmitteln verbunden sind.

Ein weiterer Hinweis auf den Zusammenhang zwischen dopaminergen Systemen und Sucht ergibt sich aus Beobachtungen bei der Behandlung von Alkoholikern und Abhängigen von anderen Drogen mit Apomorphin (Amitai u.a., 1972; Beil u.a., 1977; Feldmann, 1952 a; 1952 b; Hedri, 1972; Schlatter u.a., 1972). Wie Beil (1977) berichtet, sind die positiven Wirkungen der Apomorphin-Behandlung beeindruckend: Die anfangs auftretenden Entzugserscheinungen werden vom Patienten toleriert; das Bedürfnis nach der Droge (Barbiturat, Diazepam, Tilidin) oder Alkohol verschwindet nach 4 Tagen, Ängste werden reduziert und eine allgemeine Ruhe tritt ein. Die Persönlichkeit des Patienten wird tendenziell wiederhergestellt und alle Patienten berichten von einer Abneigung gegen Alkohol bzw. die anderen Drogen. In den meisten Fällen kehrt der normale Schlaf im Laufe der ersten zwei Wochen ohne Beruhigungsmittel zurück. Die verwendeten Apomorphin-Dosen liegen unterhalb der Übelkeitsschwelle. Apomorphin stimuliert die Dopaminrezeptoren. Zumindest scheint es möglich, dass Apomorphin bei psychisch abhängigen Patienten einen Ersatz für einige dopaminerge Wirkungen von Amphetamin, Alkohol oder Tilidin bieten kann. Wahrscheinlich wird durch eine solche „Sättigung“ des dopaminergen Belohnungssystems das Verlangen nach den süchtig machenden Medikamenten abgeschwächt.

Unsere Durchsicht der pharmakologischen Literatur über den Mechanismus der Entwicklung einer psychischen Abhängigkeit von Beruhigungsmitteln führte uns zum dopaminergen System. Beweise für seine Beteiligung müssen noch gefunden werden. Vielmehr erscheint es unwahrscheinlich, dass die somatischen Ursachen der Abhängigkeit auf dem Einfluss nur eines einzigen Transmittersystems beruhen. An der Vermittlung und Verarbeitung von Impulsen und damit von Informationen im Gehirn sind verschiedene Transmitter beteiligt, die in komplexer Weise miteinander verknüpft sind. Unsere Hypothese ist also als Anregung zu verstehen, solche Vorstellungen zu bestätigen, zu modifizieren oder auch zu widerlegen.