Ist Dunkle Materie aus Axionen gemacht?

Als Wissenschaftler eines italienischen Labors letzte Woche bekannt gaben, dass unerwartete Ausschläge in ihrem Detektor von lange gesuchten subatomaren Teilchen, den so genannten Axionen, stammen könnten, waren ihre Kollegen vorsichtig optimistisch: In der Physik verblassen angebliche Entdeckungen neuer Teilchen oft zur Bedeutungslosigkeit, wenn Forscher mehr Daten sammeln. Und es gibt auch andere, prosaischere Erklärungen für die Auffälligkeiten. Die theoretischen Argumente für die Existenz von Axionen hingegen sind für viele Physiker überzeugend. Und die hypothetischen Teilchen sind einer der Hauptkandidaten für die dunkle Materie, die geheimnisvolle Substanz, aus der der größte Teil des materiellen Universums besteht. Die Bestätigung, dass Axionen real sind, wäre ein Durchbruch für die Teilchenphysik – und eine Entdeckung mit weitreichenden Auswirkungen auf unser Verständnis der Zusammensetzung und Geschichte des Universums.

Die Geschichte der Axionen beginnt in den 1970er Jahren, als Physiker, die das Standardmodell – den Rahmen, der die bekannten Teilchen und ihre Wechselwirkungen beschreibt – entwickelten, etwas Seltsames an der starken Kernkraft bemerkten, die Quarks zusammenbindet, um die Protonen und Neutronen innerhalb der Atomkerne zu bilden. Diese Kraft reguliert irgendwie die Struktur der Neutronen, um sie perfekt symmetrisch zu machen. Anders ausgedrückt: Obwohl das Neutron neutral ist, tragen die Quarks in ihm eine Ladung – und aus unbekannten Gründen ist diese Ladung unglaublich gleichmäßig verteilt (nach neuesten Messungen zumindest mit einer Genauigkeit von einem Teil in einer Milliarde). In der Sprache der Teilchenphysik sagt man, dass das Neutron eine Ladungsparitätssymmetrie (CP) besitzt: Würde man alle seine Ladungen von positiv auf negativ umkehren und gleichzeitig sein Verhalten in einem Spiegel betrachten, hätte dies keine erkennbaren Auswirkungen. Die Frage, warum das Teilchen diese Anordnung hat, wurde als „starkes CP-Problem“ bekannt.

1977 schlugen Helen Quinn und der verstorbene Roberto Peccei, beide damals an der Stanford University, eine Lösung vor: Vielleicht gibt es ein bis dahin unbekanntes Feld, das den gesamten Raum durchdringt und die Asymmetrien des Neutrons unterdrückt. Später folgerten die theoretischen Physiker Frank Wilczek und Steven Weinberg, dass, wenn das Standardmodell so verändert würde, dass es ein solches Feld zulässt, dies die Existenz eines neuen Teilchens, des so genannten Axions, bedeuten würde. (Wilczek hatte die Idee für diesen Namen von einer Waschmittelmarke.) Das Axion hätte keinen quantenmechanischen „Spin“ und wäre somit ein Boson. Seine Masse wäre zwar nicht null, aber unglaublich klein.

Trotz ihrer verschwindend geringen Masse würden Axionen in so großer Zahl existieren, dass Physiker bald erkannten, dass sie einen Großteil der im Universum „fehlenden“ Masse erklären könnten: Astronomische Beobachtungen, die bis in die 1930er Jahre zurückreichen, deuten darauf hin, dass die sichtbare Materie – Galaxien, Sterne, Planeten usw. – weniger als ein Sechstel der Gesamtmasse aller Materie im Kosmos ausmacht, während der Rest auf dunkle Materie entfällt. Die Natur dieser dunklen Materie ist seither Gegenstand intensiver Debatten.

„Das Axion ist ein wirklich guter Kandidat für dunkle Materie“, sagt Peter Graham aus Stanford. Abgesehen von der Erwartung, dass der Kosmos von diesen Teilchen überschwemmt sein sollte, wären Axionen von Natur aus „dunkel“, was bedeutet, dass sie kaum mit gewöhnlicher Materie wechselwirken würden. „Das Universum produziert gerne Axionen“, sagt Graham, „und zwar so, dass sie sich wie die kalte dunkle Materie verhalten, von der wir wissen, dass es sie gibt.“

„Kalt“ ist ein wichtiger Vorbehalt: Die Axionen, die Forscher angeblich mit dem XENON1T-Experiment am italienischen Gran Sasso National Laboratory entdeckt haben, wären wahrscheinlich im Inneren unserer Sonne entstanden. Sie wären hochenergetisch und damit unwahrscheinlich, dass sie ein Bestandteil der dunklen Materie sind. Axionen aus dunkler Materie müssten sich langsam bewegen oder kalt sein, so dass sie sich verklumpen könnten, um die Entwicklung von Galaxien durch ihre Schwerkraft zu lenken – so wie es die dunkle Materie vermutlich tut. Theoretiker vermuten, dass solche Axionen bereits im frühen Universum entstanden sein könnten. Da die Prozesse, bei denen kalte Axionen entstehen, möglicherweise mit dem frühen Wachstumsschub des Universums zusammenhängen – einer außergewöhnlichen Vergrößerung, die als Inflation bezeichnet wird -, könnte die Entdeckung und weitere Untersuchung dieser schwer fassbaren Teilchen den Physikern helfen, die allerersten Momente nach dem Urknall zu verstehen. Obwohl die Entdeckung von Axionen nicht beweisen würde, dass die Inflation stattgefunden hat, sagt Graham, würde sie einen wertvollen Einblick in die Physik dieser Ära geben. „Für mich ist das das Spannende an Axionen“, fügt er hinzu.

Doch die Wissenschaftler reagieren mit Vorsicht – auch die des XENON1T-Teams. Sie sind sich nur sicher, dass sie in dem riesigen Bottich mit flüssigem Xenon, dem Herzstück des Experiments, überraschend viele „Rückstöße“ von Elektronen beobachtet haben. Was die Elektronen springen ließ, ist umstritten. Wenn subatomare Teilchen, so genannte Neutrinos, unvorhergesehene magnetische Eigenschaften haben, könnte diese Anordnung für die beobachteten Ergebnisse verantwortlich sein. Die Erklärung könnte aber auch ganz banal sein: Das Xenon könnte lediglich mit Tritium verunreinigt sein – einer schwereren Form des Wasserstoffs, dessen natürliche Strahlung das bei XENON1T beobachtete Signal trüben könnte. Darüber hinaus beträgt das Konfidenzniveau für das anomale Signal nur „3,5 Sigma“, d. h. die Wahrscheinlichkeit, dass es sich bei dem „Signal“ tatsächlich nur um Rauschen handelt, also um das Produkt statistischer Schwankungen und nicht um echte neue Physik, liegt bei eins zu 5.000. Diese Chancen mögen gut klingen, aber sie liegen weit unter dem 1:3,5-Millionen- oder „Fünf-Sigma“-Standard, der traditionell mit legitimen Entdeckungen in der Teilchenphysik in Verbindung gebracht wird.

Die XENON1T-Forscher werden nicht nur mehr Daten sammeln und ihr Experiment aufrüsten, sondern auch nach jährlichen Veränderungen des offensichtlichen Signals suchen. Solare Axionen sollten dazu führen, dass dieses Signal schwankt, wenn die Erde die Sonne umkreist. In der Zwischenzeit könnten bestätigende Beweise vom Axion Dark Matter Experiment (ADMX) an der University of Washington oder einem Experiment namens CAST (CERN Axion Solar Telescope) am CERN bei Genf kommen. ADMX hat bereits neue Hinweise auf die Masse des Axions geliefert, und CAST ist seit 2003 auf der Suche nach solaren Axionen.

Sollten sich Axionen als real erweisen, wäre dies „ein Triumph der theoretischen Physik – wir haben diese Art von ästhetischem Argument vorgebracht, und dann sagt die Natur: ‚Ja, das stimmt'“, so Wilczek, der am Massachusetts Institute of Technology arbeitet und 2004 den Nobelpreis für Physik für seine theoretischen Arbeiten über die starke Kernkraft miterhielt. Die Existenz von Axionen, so sagt er, würde auf eine neue Physik jenseits des Standardmodells hinweisen – etwas, das er und seine Kollegen schon seit Jahrzehnten erwarten. Man könnte neuartige Antennen bauen, um nach Axionen zu suchen, die im frühen Universum entstanden sind, schlägt Wilczek vor. Wenn diese Axionen erfolgreich gemessen werden können, „würde das ein neues Kapitel in der Astronomie aufschlagen“, fügt er hinzu, denn das Verhalten der Teilchen könnte Aufschluss über die Entstehung von Galaxien und „möglicherweise andere überraschende Dinge“ geben.

Während solche Entwicklungen wahrscheinlich nobelpreiswürdig wären, macht Wilczek in seinem Regal keinen Platz für eine zweite Medaille frei. Aber wenn ein weiterer Nobelpreis auf ihn zukäme, sagt er, würde er ihn „nicht ablehnen“

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