The Awl, 2009-2018

★★★★ Selbst durch die Jalousien, für Augen ohne Kontaktlinsen, war die Welt ringsum neu erhellt – nicht von Natur aus hell, da die Morgendämmerung noch unter dem Schleier des leichten Sturms lag, aber gleichmäßig hell, das graublaue Licht des Himmels schien von den Dächern und den Balkongeländern und den geparkten Autos zurück. Der Schnee zeichnete die verzweigten, sich vervielfältigenden Zweige der noch kahlen Bäume nach, verengte sich und hielt sich doch bis in die Spitzen, und er klebte an den Seiten der Balkongeländer, für den Moment. Nichts davon würde von Dauer sein; die Straßen und Bürgersteige waren schwarz und klar geblieben. Alles bewegte sich auf seinen gewohnten Bahnen. Die Flocken waren fast zu klein, um sie in der frühen Dämmerung einzeln zu sehen, aber sie verdeckten den Fluss und brachten die Stadt in die nahe und mittlere Entfernung. Eine aufrechte dunkle Linie schwebte am Himmel, wie ein Falke, der auf dem Nichts hockt. Es bedurfte des Fernglases, um ihn zu erkennen: Es war der Mittelpfosten eines Wasserturms, der allein vor einem leeren Hintergrund stand, da das kegelförmige Dach darunter weiß geworden und verschwunden war. Jahrelang muss das Dach des Tanks zu sehen gewesen sein, wie es aus dem rechteckigen Schott des Wohnhauses herausschaute, unbemerkt, bis es verschwand. Draußen, nachdem das leuchtende Blau in Grau übergegangen war, wirbelten immer noch hübsche kleine Flocken. Fünfundvierzig Minuten später konnte man sie spüren, aber kaum noch sehen. Die Wärme des Bodens hatte die senkrechten Pfähle der niedrigen Zäune um die Baumbeete hinaufgetragen und den Schnee auf dem flachen oberen Geländer in Abständen schmelzen lassen, so dass die verbliebenen weißen Buckel im Rhythmus des Musters des von der Stadt genehmigten Baumschutzes vom Typ „B“ mitmarschierten. Ein kleines Wölkchen blieb an der Spitze des Empire State Building hängen und gab dem verschwommenen Himmel ein Maß. Der morgendliche Schneefall sollte eigentlich vorbei sein, doch noch immer zeichneten sich kleine Flocken vor dem dunklen Hintergrund ab. Der Friseur fuhr mit der Schere durch den vernachlässigten Haarschopf um die Ohren, und als er abgefallen war, blieb in der Mischung aus Tages- und Ladenlicht ein kleiner, unmissverständlicher Silberfleck stehen, hell und sicher wie ein Groschen. Jemand kam zur Tür herein, und die Luft, die ihnen gefolgt war, ließ die Wärme des heißen Handtuchs schnell verblassen. Unterhalb des Flatiron-Gebäudes hatte der Schnee wirklich aufgehört zu schneien, und es schimmerten sonnige und blaue Flecken auf, doch im Norden der Stadt hatte sich wieder das Grau breit gemacht, und ein paar neue winzige Flocken lagen in der Luft. Irgendwie hätte man zwischen den Knöpfen des Flanellhemds einen geisterhaften Fleck scharfer Kälte erkennen können. Die Ohren kühlten unterdessen immer mehr aus. Ein Teil des angesammelten Schnees war weggerutscht, aber er klebte immer noch an der Oberfläche des Fernsehers auf der luxuriösen Dachterrasse. Eine Zeit lang wehten die Schneeflocken dichter, dann ließen sie nach, als der Himmel sich aufhellte. Als er sich wieder verdunkelte, sah das, was fiel, wie Regen aus. Oder war es Schnee? Ein Arm, der aus dem Fenster gestreckt wurde, fing kleine Stücke davon in den Haaren der Handgelenke auf – eine Art Granulat, das eher wie Schnee aussah, aber gerade herunterfiel. Endlich war auch das verschwunden. Die Bäume hatten ihr Maßwerk verloren, und die Möbel der luxuriösen Dachterrasse, deren weißer Belag abgenutzt war, lagen wie Trümmer verstreut. Das Dach des Wasserturms war wieder dunkel, mit einem letzten weißen Fleck darauf. Der Rand eines Metallschlots glänzte, und Fenster warfen helle Flecken auf die benachbarten Ziegel. Jedes flüchtige Licht könnte das letzte sein. Ein Sonnenstrahl funkelte auf dem klumpigen Eis des Nachbarbalkons, ging hinüber, um das Wohnzimmer zu durchschneiden, und traf die hinterste Ecke des Etagenbetts der Kinder. Er beleuchtete die magnetischen Worte, die ungeordnet auf der leeren Seite des Aktenschranks standen: „Sie wird uns fehlen wie die Sonne.“ Der Strahl wurde schwächer, als die Sonne hinter einem Wolkenfeld zu verschwinden begann. Nicht weit unter der Wolke standen die neuen Türme flussabwärts und warteten darauf, dass sie an der Reihe waren, sie abzuschalten. Der eigentliche Sonnenuntergang war farblos und undeutlich. Es wurde hell, und dann wurde es dunkel. Die Kinder stellten den Wecker: Vor dem nächsten Sonnenaufgang würden sie aufstehen und nach der Mondfinsternis Ausschau halten.