Physiologie aus der Perspektive: Struktur und Funktion – Anatomie und Physiologie sind untrennbar miteinander verbunden

„Die Anatomie ist für die Physiologie das, was die Geographie für die Geschichte ist; sie beschreibt den Schauplatz der Ereignisse.“ Dieses Zitat stammt von Jean François Fernel, dem französischen Arzt aus dem 16. Jahrhundert, der den Begriff Physiologie einführte, um das Studium der Körperfunktionen zu beschreiben. Mit der Betonung der engen Beziehung zwischen Anatomie und Physiologie stand Fernel in der Tradition der griechischen Ärzte Herophilus und Erasistratus, die im 3. Jahrhundert v. Chr. am Museum von Alexandria tätig waren. Sie erkannten die Bedeutung der Struktur für die Funktion des menschlichen Körpers und machten viele Entdeckungen, die bis zur wissenschaftlichen Renaissance des 15. und 16. Jahrhunderts verloren gingen. In unserer modernen reduktionistischen Herangehensweise an die biomedizinische Forschung vergessen wir oft, was wir von Fernel, Herophilus und Erasistratus gelernt haben, nämlich dass wir durch die Erforschung der integralen Beziehung zwischen Struktur und Funktion ein tieferes Verständnis der Physiologie gewinnen. In den Übersichtsartikeln in dieser Ausgabe der Physiologie werden die Erkenntnisse untersucht, die sich aus der Untersuchung der Verbindung zwischen Struktur und Funktion ergeben.

Zellkulturmodelle werden häufig verwendet, um unser physiologisches Verständnis zu verbessern. Obwohl flache, zweidimensionale (2D) Zellkulturen die biomedizinische Forschung in der Vergangenheit dominiert haben, haben sich neuere Experimente auf die Verwendung von dreidimensionalen (3D) Zellkulturmodellen verlagert, die die strukturelle Realität der zellulären Mikroumgebung besser nachbilden und somit ein besseres Verständnis der Physiologie ermöglichen. In ihrer Übersichtsarbeit (3) erörtern Duval et al. die Herausforderungen bei der Erstellung von 3D-Zellkulturmodellen, die Unterschiede in der Proliferation, Bewegung, Apoptose, mechanischen Reaktionen und extrazellulären Matrix aufklären. Sie geben eine kritische Einschätzung der Vor- und Nachteile von 3D- und 2D-Zellkulturansätzen. Mit der weiteren Entwicklung werden 3D-Zellkulturmodelle wahrscheinlich eine zunehmend attraktive Plattform für die physiologische Grundlagenforschung darstellen. In der Zwischenzeit sollte ein gründliches Verständnis der einzelnen Kulturmethoden den Wissenschaftlern helfen, die optimale Zellkulturmethode für ihr jeweiliges Experiment auszuwählen, wodurch sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass die Forschung in den Bereichen Krebstherapeutika, Stammzelldifferenzierung, Wundheilung, regenerative Medizin und vielen anderen Anwendungen vorankommt.

Die Struktur-Funktions-Beziehungen unserer Gewebe und Organe werden durch ein empfindliches Gleichgewicht von Proliferation und Differenzierung der im Gewebe ansässigen adulten Stammzellen aufrechterhalten. Indem sie sowohl lokale als auch humorale biologische Signale aufnehmen, können adulte Stammzellen auf interne und externe Veränderungen reagieren, die das Gewebe, in dem sie sich befinden, beeinflussen. Die Untersuchung der molekularen und zellulären Mechanismen des Verhaltens adulter Stammzellen bietet neue Einblicke in die Art und Weise, wie unser Körper die Funktion von Organen und Geweben aufrechterhält; Störungen dieser Signale können Krankheiten wie entzündliche Darmerkrankungen und Krebs verursachen oder zu ihnen beitragen. Aufgrund der rauen luminalen Umgebung des Magen-Darm-Trakts sind gewebespezifische adulte Stammzellen entscheidend für die Wiederherstellung der Homöostase, indem sie eine kontinuierliche Quelle für regeneriertes Epithelgewebe darstellen. In ihrer Übersichtsarbeit (1) erörtern Andersson-Rolf und Kollegen, wie adulte Stammzellen die Gewebehomöostase bei normalem Gewebeumsatz sowie bei lokalen und chronischen Schäden steuern. Durch die Einbeziehung sowohl lokaler als auch humoraler biologischer Signale können adulte Stammzellen auf interne und externe Veränderungen reagieren, die das Gewebe, in dem sie sich befinden, beeinflussen. Sie stellen die Verwendung eines auf adulten Stammzellen basierenden 3D-Organoidsystems für Anwendungen in den Bereichen Wirkstoffscreening, Gewebe-Biobanking, Krankheitsmodellierung und potenzielle Zelltherapie vor. Die kürzlich gewonnenen Erkenntnisse über die Biologie adulter Stammzellen und die daraus resultierende Entwicklung der Organoidtechnologie haben die experimentellen Möglichkeiten zur Untersuchung menschlicher Krankheiten erheblich erweitert und geben Anlass zur Hoffnung auf die Entwicklung neuartiger therapeutischer Strategien für die regenerative Medizin

Ein wunderbar komplexes Beispiel für die Beziehungen zwischen Struktur und Funktion sind die Endothelzellen, die das Lumen von Blutgefäßen auskleiden, wo sie die homöostatische Regulierung des Tonus der glatten Muskulatur der Gefäße bewirken, um den Blutfluss zu beeinflussen und den Stoffwechselbedarf des Gewebes an Nährstoffen und Sauerstoff zu decken. Nach der Adoleszenz ruhen die meisten gesunden Endothelzellen, bis sie zur Unterstützung der Reparatur von verletztem Gewebe benötigt werden, indem sie die Vaskularisierung erhöhen. Eine Dysfunktion der Endothelzellen führt zu einer Ischämie des Gewebes und ist häufig bei Alterungsprozessen und altersbedingten Krankheiten wie Diabetes, Muskelschwund und Osteoporose zu beobachten. Klinische Bemühungen zur Förderung der Angiogenese haben sich weitgehend auf Wachstumsfaktoren konzentriert, mit gemischten Ergebnissen. In ihrer Übersichtsarbeit (5) erörtern Sawada und Arany ein kürzlich entdecktes Repertoire endothelialer intrazellulärer Moleküle, die für den endothelialen Stoffwechsel entscheidend sind und eine wichtige Rolle bei der Regulierung der Angiogenese spielen. Die Entdeckung, dass Endothelzellen in hohem Maße glykolytisch sind, hat gezeigt, dass die Glykolyse ein potenzielles therapeutisches Ziel für die Angiogenese darstellt. Dieser therapeutische Schwerpunkt könnte zu bedeutenden Fortschritten bei der Behandlung von Ischämie bei kardiovaskulären und altersbedingten Erkrankungen sowie bei Krankheiten führen, die durch Stoffwechselstörungen gekennzeichnet sind, wie z. B. gestörte Glukosetoleranz und übermäßige Lipidanreicherung.

Beim erwachsenen Menschen macht das Gehirn ~2 % des gesamten Körpergewichts aus, verbraucht aber fast 20 % der gesamten Sauerstoffversorgung. Der verbrauchte Sauerstoff wird von den Mitochondrien zur Produktion von ATP durch oxidative Phosphorylierung in einer Reihe von zellulären Prozessen verwendet, die unter dem Begriff mitochondriale Bioenergetik bekannt sind. Gleichzeitig findet in gesunden Zellen regelmäßig eine mitochondriale Biogenese statt, um eine ausreichende Population leistungsfähiger Mitochondrien zu erhalten. Neben einer verminderten ATP-Produktion kann eine Störung der Bioenergetik zu einer vermehrten Bildung reaktiver Sauerstoffspezies führen, was wiederum die mitochondriale Biogenese verzögert und zu mitochondrialem oxidativem Stress führt. In ihrer Übersichtsarbeit (2) untersuchen Chan und Chan speziell die Rolle einer gestörten mitochondrialen Bioenergetik und Biogenese in der Pathophysiologie der mit oxidativem Stress assoziierten Hypertonie im Gehirn. Ganz allgemein erörtern sie die genetischen Regulatoren von Schlüsselmolekülen, die an der Vielzahl der zellulären Mechanismen beteiligt sind, die die mitochondriale Bioenergetik und Biogenese steuern. Eine mitochondriale Dysfunktion beeinträchtigt die gesamten Zellfunktionen, insbesondere in Organen mit hohem Energiebedarf wie dem Gehirn. Ein besseres Verständnis der Pathophysiologie einer gestörten mitochondrialen Bioenergetik und Biogenese könnte zu neuen Therapeutika zur Behandlung von Erkrankungen von Organen mit hohem Energiebedarf führen, einschließlich der mit oxidativem Stress verbundenen Hypertonie des Gehirns.

Die Hyperreagibilität der Atemwege bei Asthmapatienten ist definiert als eine verstärkte Verengung der Atemwege als Reaktion auf einen bestimmten Stimuluspegel. Darüber hinaus bleibt die Verengung eines hyperreagiblen Atemwegs oft bestehen, ohne dass der normale Dilatationseffekt einer tiefen Inspiration (DI) auftritt. Die Verengung der Atemwege hängt von der Kraft ab, die von der stimulierten glatten Muskulatur der Atemwege (ASM) erzeugt wird, was ebenfalls eine komplexe Signalkaskade widerspiegelt. In ihrer Übersichtsarbeit (4) untersuchen Lutchen und Kollegen die Pathophysiologie, die der Hyperreagibilität der Atemwege zugrunde liegt. Sie erörtern, wie der kontraktile Apparat der ASM von seiner dynamischen Längengeschichte abhängt, allerdings in einer Weise, die sich nur sehr schwer direkt auf die Reaktion der intakten Atemwege übertragen lässt. Sie untersuchen, wie der Umbau der Atemwegswand die Tendenz zur Überkontraktion verstärken kann, während sie gleichzeitig durch eine Erhöhung ihrer Steifigkeit weniger auf eine DI reagiert. Darüber hinaus kann ein heterogener Umbau der Atemwege bei Asthmatikern die Abnahme der gesamten Lungenfunktion weiter verstärken und eine DI noch weniger wirksam machen. Hinzu kommt der verwirrende Einfluss von Entzündungen und veränderten mechanischen Kräften bei der Umgestaltung der Atemwege bei Asthma. Letztendlich muss bei der Behandlung berücksichtigt werden, dass die Pathophysiologie von Asthma eine Folge des Gesamtverhaltens aller Atemwege und der Wandbestandteile in der gesamten Lunge ist.

ORAI-Kanäle sind allgegenwärtige, kalziumleitende Kanäle, die für eine Vielzahl physiologischer Funktionen von entscheidender Bedeutung sind, unter anderem für die Immunfunktion, die Entwicklung der Skelettmuskulatur, die Herz-Kreislauf-Funktion, die Entwicklung von Knochen, Spermien und Zahnschmelz sowie die Schweiß-, Tränen- und Milchproduktion. In ihrer Übersichtsarbeit (6) gehen Trebak und Putney auf diese und andere wichtige Funktionen der ORAI-Ionenkanäle ein, die durch die Tatsache unterstrichen werden, dass Patienten mit ORAI1-Mangel immunschwach sind, an Muskelhypotonie, Hypohidrose und ektodermaler Dysplasie leiden und ohne Knochenmarktransplantation nicht lange überleben. Mutationen in ORAI1 oder eine veränderte Expression dieser Kanäle liegen einer Vielzahl von Krankheiten zugrunde, darunter Immundefizienz, Autoimmunität, Muskeldystrophie, Bluthochdruck, Gefäßumbau, Asthma, Herzhypertrophie, Sterilität und verschiedene Krebsarten, um nur einige zu nennen. Daher ist die Erforschung der Mechanismen der ORAI-Transkriptions- und Translationskontrolle, des molekularen Aufbaus der ORAI-Proteine an der Plasmamembran und der molekularen Mechanismen ihrer Regulierung durch Botenstoffe und Signalproteine von entscheidender Bedeutung für das Verständnis der menschlichen Physiologie und für die Entwicklung therapeutischer Strategien, die auf Krankheitszustände abzielen, bei denen eine Störung des ORAI-Kanals beteiligt ist.

FUSSNOTIZEN

  • Die Autoren haben keine finanziellen oder sonstigen Interessenkonflikte angegeben.

  • 1. Andersson-Rolf A, Zilbauer M, Koo BK, Clevers H. Stem cells in repair of gastrointestinal epithelia. Physiology (Bethesda) 32: 278-289, 2017. doi:10.1152/physiol.00005.2017.
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  • 2. Chan SHH, Chan JYH. Mitochondrien und reaktive Sauerstoffspezies tragen zur neurogenen Hypertonie bei. Physiology (Bethesda) 32: 308-321, 2017. doi:10.1152/physiol.00006.2017.
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  • 3. Duval K, Grover H, Han LH, Mou Y, Pegoraro AF, Fredberg J, Chen Z. Modeling physiological events in 2D vs. 3D cell culture. Physiology (Bethesda) 32: 266-277, 2017. doi:10.1152/physiol.00036.2016.
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  • 4. Lutchen KR, Paré PD, Seow CY. Hyperreagibilität: Der Zusammenhang zwischen den intakten Atemwegen und der gesamten Lunge. Physiology (Bethesda) 32: 322-331, 2017. doi:10.1152/physiol.00008.2017.
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  • 5. Sawada N, Arany Z. Metabolic regulation of angiogenesis in diabetes and aging. Physiology (Bethesda) 32: 290-307, 2017. doi:10.1152/physiol.00039.2016.
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  • 6. Trebak M, Putney JW Jr. ORAI calcium channels. Physiology (Bethesda) 32: 332-342, 2017. doi:10.1152/physiol.00011.2017.
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