Oscar Wilde über die Kunst
Im Jahr 1890, nach der Veröffentlichung von Oscar Wildes Roman Das Bildnis des Dorian Gray, schrieb ein neugieriger junger Fan namens Bernulf Clegg an den Autor und bat ihn, eine inzwischen berühmte Zeile aus dem Vorwort zu erklären: „Alle Kunst ist ziemlich nutzlos.“
Zu Cleggs Überraschung antwortete Wilde mit dem unten abgebildeten handgeschriebenen Brief.
Transkript folgt.
16, TITE STREET,
CHELSEA. S.W.
Mein lieber Herr
Kunst ist nutzlos, weil ihr Ziel einfach darin besteht, eine Stimmung zu erzeugen. Sie ist nicht dazu bestimmt, zu belehren oder in irgendeiner Weise das Handeln zu beeinflussen. Sie ist herrlich steril, und der Ton ihres Vergnügens ist Sterilität. Wenn auf die Betrachtung eines Kunstwerkes irgendeine Tätigkeit folgt, ist das Werk entweder sehr zweitklassig, oder der Betrachter hat es versäumt, den vollständigen künstlerischen Eindruck zu verwirklichen.
Ein Kunstwerk ist nutzlos, wie eine Blume nutzlos ist. Eine Blume blüht zu ihrer eigenen Freude. Wir gewinnen einen Augenblick der Freude, indem wir sie betrachten. Das ist alles, was über unsere Beziehung zu Blumen zu sagen ist. Natürlich kann der Mensch die Blume verkaufen und sie so für sich nützlich machen, aber das hat nichts mit der Blume zu tun. Es ist nicht Teil ihres Wesens. Es ist zufällig. Es ist ein Mißbrauch. Ich fürchte, das ist alles sehr unklar. Aber das Thema ist lang.
Mit freundlichen Grüßen,
Oscar Wilde