Algeciras Revisited: Europäische Krise und Konferenzdiplomatie, 16. Januar – 7. April 1906

Im Jahr 1905 befand sich Europa in einer schweren diplomatischen Krise um Marokko. Die Spannungen, die diese Krise auslöste, waren so groß, dass sie bis heute immer wieder als einer der Faktoren angeführt wird, die zum Ausbruch des Krieges im Jahr 1914 führten. Doch trotz der fast einhelligen Meinung der Historiker über die Bedeutung der „Ersten Marokkokrise“ ist ihre friedliche Beilegung durch eine internationale Konferenz in Algeciras 1906 nach wie vor ein wenig erforschtes Thema. Wenig Aufmerksamkeit wurde bisher der Frage gewidmet, wie die europäischen Staaten diese Krisensituation durch mühsame Verhandlungen entschärfen konnten, ohne auf einen Krieg zurückzugreifen. In diesem Artikel soll Algeciras anhand einer Fallstudie der Konferenz neu bewertet werden, wobei die Bedeutung der Konferenz im Hinblick auf zwei Schlüsselfragen untersucht wird. Erstens soll untersucht werden, was die Konferenz von Algeciras über das System der internationalen Beziehungen im Jahr 1906 aussagt. Zweitens wird untersucht, wie sich der deutsche Imperialismus gegenüber Marokko manifestierte und ob wir im Fall Marokkos weitergehende Schlussfolgerungen ziehen können, um die breitere historiographische Debatte darüber zu bereichern, ob Deutschland in dieser Zeit den Normen des internationalen Kolonialsystems folgte oder mit ihnen brach. Der Artikel wird die These vertreten, dass der deutsche Versuch, kolonialen Einfluss in Marokko zu gewinnen, einen wertvollen Einblick in Deutschlands Position innerhalb des internationalen imperialen Systems und seine Rolle im Spätimperialismus der unmittelbaren Vorkriegsjahre bietet. Abschließend wird die These vertreten, dass Algeciras, obwohl das internationale System 1906 insgesamt bemerkenswert robust war, einen diplomatischen Wendepunkt in der deutschen imperialen Politik darstellte und die zugrundeliegenden Spannungen zwischen dem sich entwickelnden europäischen Bündnissystem und einem älteren System des „diplomatischen Imperialismus“

offenbarte.